Wenn Angela Merkel ein "Wir schaffen das" sagt, dann scheint sie ein Deutschland ohne Investitionsstau zu meinen mit einem Berlin, bei dem die Verwaltung funktioniert. Ein Berlin einer Parallelwelt, welches nicht durch die CDU in finanzielle Schieflage und die SPD in eine Einsparungswüste verwandelt wurde. Die Lage am Berliner Lageso ist unschön, um nicht gleich ausfallend zu werden. Lange Schlangen, lange Wartezeiten, Terminverschiebungen, schlechte Versorgung, Probleme mit Sicherheitsdiensten usw. Berlins Infrastrukturapokalypse trifft auf Flüchtlinge.
Die Situation ist so verfahren, dass die reale Möglichkeit kältebedingter Verletzungen im Winter, wärmebedingter Verletzungen im Sommer, von Fehlgeburten oder auch Todesfällen beim Aufenthalt in einer Warteschlange nicht als vollkommen unwahrscheinlich gilt, sondern jederzeit erwartet wird. Mitten in Berlin.
Gestern berichtete ein Helfer von Moabit Hilft vom Tod eines Menschen mit direktem Zusammenhang zum Lageso. Wie heutzutage üblich bildete sich ein massiver Shitstorm, die Presse nahm Witterung auf und die Politiker übten sich in Trauer und forderten Rücktritte. Rücktritte, die seit Monaten gefordert wurden und durch den Tod nun mit mehr Druck vorgetragen werden konnten.
Nach dem Facebook-Posting des einzelnen Helfers trat die Moabit Hilft-Sprecherin vor Kameras und erzählte die Geschichte ausführlich - in Form von Tatsachen.
Die Faktenlage war allerdings sehr dünn. Weder Notarzteinsätze noch Krankenhausaufenthalte oder gar Todesfälle waren bekannt. Die Pressekonferenzen von Moabit Hilft formulierten im Laufe des Tages sichtbar vorsichtiger.
Glücklicherweise stellte sich alles später als Erfindung einer einzelnen Person heraus. Schnell folgte das mediale und politische Zurückrudern und eine Form der Entschuldigung, die ich als "Nichtentschuldigung" einstufe. In einer Pressekonferenz folgte eine zweite Nichtentschuldigung:
"Wir haben besten Gewissens gehandelt", sagt Diana Henniges von der Initiative Moabit hilft bei einer Pressekonferenz vor dem Lageso, "aber es war ein Fehler, wir haben Mist gebaut". Der Grund: "Jemand in unserer Mitte hat gelogen", Dirk V. habe Dinge "perfide und detailreich" in die Welt gesetzt. […] Eine Entschuldigung von Dirk V. stehe "jedem in dieser Stadt zu".
Liebes Moabit Hilft-Team: Ihr habt Mist gebaut. Dirk V. hat aus noch unklaren Gründen irgendwelchen Humbug auf Facebook gepostet. Diesen Humbug wolltet ihr und jeder andere glauben, da ihr euch gut vorstellen konntet, dass ein Mensch gestorben ist. Ihr habt euch vor die Presse gestellt und den Humbug von Dirk V. bestätigt. Ihr habt gelogen und Dinge perfide und detailreich in die Welt gesetzt. Dass nennt ihr "Handlung nach bestem Gewissen". Ihr schiebt jetzt die Verantwortung für euer gestriges Versagen Dirk V. in die Schuhe, anstelle ihn zu schützen und aus der Schusslinie zu nehmen.
Dafür solltet ihr euch bei jedem in dieser Stadt entschuldigen - vor allem aber bei Dirk V. Stattdessen verteidigt ihr euren Blödsinn weiterhin und gebt euch einen Freibrief für jedweden zukünftigen Blödsinn, solange dessen Eintreten wahrscheinlich sein könnte.
PS: Anfang Januar berichteten die Caritas und Moabit Hilft von Verletzungen durch Erfrierungen. Auch damals entpuppte sich das als als falsch.
Dem widerspricht die Berliner Sozialverwaltung. "Wir haben mit dem Sozial-Team der Caritas vor Ort gesprochen", hieß es in einem Statement auf Facebook. "Dort hat man uns versichert, dass es weder Verdachtsfälle auf Erfrierungen noch Notarzt-Einsätze gegeben hat."