Mein Weg zur Arbeit führt mich über Nebenstraßen von Lichterfelde über Lankwitz Kirche auf den Berlin-Leipzig-Radweg. Der führt über Nebenstraßen zum Priesterweg und gleitet autofrei in den Gleisdreieckpark, wo ich abbiege und weiterhin autofrei bis zum Anhalter Bahnhof komme.
Im Sommer ist dieser Weg ein Genuss: In den kleinen Nebenstraßen passen alle Verkehrsteilnehmer aufeinander auf und der autofreie Abschnitt führt durch eine langgezogene Parkstrecke mit Blick auf Berlin. Einzig die ständig zugeparkte Monumentenbrücke und Anhalter Straße trüben den guten Gesamteindruck etwas.
Im Winter verwandelt sich die Strecke: Die Nebenstraßen sind nicht geräumt. Je nach Verkehr sind sie frei gefahren oder bestehen aus Eis- und Schneeplatten. Auch der kilometerlange autofreie Bereich wird unterschiedlich behandelt: Die Strecke Priesterweg-Südkreuz ist nicht geräumt. Vom Südkreuz bis in den westlichen Gleisdreieckpark hinein zieht sich eine teilgeräumte Strecke, auf der jemand Schnee beiseite geschoben hat. Manchmal wird gestreut. Der östliche Gleisdreieckpark wird nicht geräumt. Die nördliche Pflichtradspur der Monumentenbrücke ist eine fiese Eisplatte. Das geht besser.
Berlin kennt scheinbar nur vier Winterdienst-Varianten:
- Schnee beiseite schieben. Auf Schutzstreifen, Radstreifen, Radwege. Die sommerliche Infrastruktur wird sabotiert und nicht mehr befahrbar. Immerhin: Man kann dann als Radfahrer auf der Straße fahren. Zwangsweise sehr mittig, weil rechts Schneehaufen liegen. Vielleicht gibt es einen Radweg, der irgendwann auch geräumt wird.
- Schnee wegbürsten und streuen. Ergibt im besten Fall eine vorsichtig befahrbare Schicht, im schlechtesten Fall eine rutschige Platte.
- Gar nichts machen. Ergibt im besten Fall eine gut befahrbare Schneeschicht (siehe Bild oben), nach dem ersten Regen aber eine unbefahrbare Rutschpiste, die später zu gefährlichen "Eiswellen" wird, die nur noch ein Fat Bike oder Trike gefahrlos befahren kann.
- Für KFZ wichtige Straßen salzen und damit komplett eis- und schneefrei bekommen.
Der Berlin-Leipzig-Radweg, RR1 und TR4 sind zentrale und offizielle Radverkehrsführungen im Berliner Radverkehrsnetz und sollten im Winter gut befahrbar sein. Sie sind die Hauptstraßen des Berliner Radverkehrsnetzes, werden aber nicht so behandelt.
Aber was heißt "gut befahrbar"? Nach der Erfahrung im letzten Winter fahre ich grobstollige Spike-Reifen, die Ice Spiker Pro von Schwalbe. Ich bin also vorbereitet. Feste Schneeplatten und halbwegs ebene Eisflächen bemerke ich nicht. Lockerer Schnee erfordert Kraft, ist aber ebenfalls ungefährlich. Bei ungeräumten Flächen entsteht nach Regen aber eine tagelang nur schwer befahrbare Fläche. Es fühlt sich an, als würde einem ständig jemand den Boden beiseite ziehen. Später werden daraus mehrere Zentimeter hohe gefrorene Wellen, die auch mit Spikes nicht mehr befahrbar sind. An einer solche Stelle habe ich mich Mitte Januar hingepackt. Auch mit Winterreifen ist Berlins Radinfrastruktur also im Winter nicht befahrbar. Man stelle sich vor, Berlin würde die Hauptstraßen ebenso behandeln.
Es entsteht der Eindruck, dass Radverkehr im Winter nicht gewünscht ist. Ein besonderes Geschmäckle bekommt der Zustand dieser Strecken, da sich Berlin für genau diese selber lobt:
In den vergangenen Jahren hat Berlin das Angebot für Radfahrer weiter ausgebaut: Dazu gehören natürlich neue Radfahrstrecken und Radwege. Aber auch mitnutzbare Busspuren, Fahrradstraßen und die Öffnung von Einbahnstraßen oder Sackgassen machen das Radfahren in Berlin zunehmend einfacher und sicherer.
Freigegebene Wege durch die Parks, die Wälder und an den Wasserläufen erhöhen die Attraktivität des Radfahrens in Berlin erheblich.
Für weite Strecken mit dem Rad eignen sich die Berliner Radrouten.
Wie es besser geht wird nebenan in einem Artikel beschrieben, am Beispiel von einer Großstadt in Finnland. Einige Zitate, die verdeutlichen, was in Berlin nicht stattfindet:
- Die Wege sind zwischen 3,5 und 6 Meter breit und überwiegend vom Autoverkehr getrennt.
- Zwischen den Radwegen und den Fahrspuren für die Autos verlaufen zudem breite Grünstreifen. Das ist extrem praktisch, denn dort wird der Schnee aufgehäuft. So nimmt er weder Auto- noch Radfahrern Platz weg.
- Bei Schneefall werden alle Radwege morgens vor 7 Uhr präpariert
- Es geht nicht darum, die Wege vom Schnee zu befreien, sondern die Wege so zu bearbeiten, dass Radfahrer dort gut vorankommen.
Das dortige Ergebnis: Es braucht keine Spezialreifen oder -räder, um im Winter sicher Fahrrad fahren zu können. Es ist für jeden Menschen möglich.
Was kann Berlin machen?
- Zuerst einmal von dem Gedanken weg kommen, dass im Winter so wenige Leute Rad fahren, dass man die Infrastruktur nicht verfügbar halten muss. Das ist ein Henne-Ei-Problem. Auf den geräumten Bereichen des RBL sind im Winter mehr Fußgänger als Radfahrer unterwegs. Es liegt also nicht daran, dass es einfach nur "zu kalt" ist.
- Zweitens sollten sämtliche offiziellen Radrouten in E1 aufgenommen werden. Dies betrifft folglich auch durch Parks geführte Routen und Routen auf Nebenstraßen, sowie sämtliche Fahrradstraßen. Berlin hat mit viel Mühe im Laufe vieler Jahre diese Infrastruktur errichtet und kann stolz auf sie sein. Sie auch im Winter verfügbar zu halten ist keine absurde Forderung, sondern eine Selbstverständlichkeit.
- Winterdienst ist nur möglich, wenn die zu räumenden Flächen erreichbar sind. Falschparker sind ohne Ausnahmen umzusetzen. Polizei und Ordnungsamt müssen ihre Aufgaben hier endlich wahrnehmen, anstelle die Unbenutzbarkeit der Infrastruktur für Radfahrer unter dem Deckmantel des Ermessenspielraums einfach hinzunehmen.
Der Volksentscheid Fahrrad formuliert dies so:
Änderung des Straßenreinigungsgesetzes
Das Radfahren soll auch im Winter und bei schlechter Witterung gefördert werden. Die
Bevorzugung der Radinfrastruktur ist damit zu begründen, dass Radfahrende auf glattem, nicht
geräumtem Untergrund leichter verunfallen können. Denn Fahrräder verfügen im Vergleich zum
Pkw nicht über Sicherheitssysteme und haben eine schlechtere Bodenhaftung. Gerade im Winter
ist aus Umwelt- und Klimaschutzgründen die Förderung des Radverkehrs besonders sinnvoll. Im
Winter ist die Feinstaub- und Stickoxidbelastung besonders hoch. Durch die Reduzierung des Pkw-Verkehrs
kann diese maßgeblich gesenkt werden. Bisher werden Radwege oft nicht geräumt, so
dass momentan auf den im Sommer stark befahrenen Hauptrouten im Winter wenig Radverkehr
zu verzeichnen ist. Die Referenz für die Festsetzung des Räumungsplans sollte daher der
Jahresdurchschnitt des Radverkehrsaufkommens sein.
Die vorrangige Schneeräumung und Glättebeseitigung von Radverkehrsanlagen findet seine
Berechtigung darin, dass Radfahrende bei unsicheren Straßenverhältnissen ungleich stärker
gefährdet sind. Während Autos aufgrund ihrer Beschaffenheit und Konstruktion grundsätzlich
stabil auch auf glatter Straße liegen, sind Radfahrende aufgrund der spezifischen Eigenschaften
des Fahrrads bei Glätte besonders gefährdet.
Bis ein Jahr nach Inkrafttreten dieses Gesetzes ist das Straßenreinigungsgesetz so
anzupassen, dass 30 % der Radverkehrsanlagen, Fahrradstraßen und Radschnellwege
vorrangig vor den Flächen für den motorisierten Verkehr im Winterdienst berücksichtigt
werden sollen. Dabei sind Radverkehrsanlagen, Fahrradstraßen und Radschnellwege, die im
Jahresdurchschnitt ein hohes Radverkehrsaufkommen aufweisen, höher zu priorisieren.